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Gendermedizin

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Erstaunlich eigentlich, dass erst jetzt – seit Anfang des Jahrtausends – die Medizin den Unterschied zwischen Mann und Frau auch bei Erkrankungen in Betracht zieht. So hätte man sich denken können, dass Medikamente unterschiedlich wirken. Doch kam man spät darauf, zu schauen, ob und wie eine Frau bzw. ein Mann erkrankt. Deutlich wurde es bei Herzinfarkten. Frauen zeigen andere Symptome als Männer. Während diese schnell behandelt werden, blieben Herzinfarkte bei Frauen länger unerkannt, da sie  nicht über die bis dahin als typisch geltenden Schmerzen klagten.
Zwei Medizinerinnen schrieben nun ein Buch, in dem sie zusammentrugen, was es derzeit an Erkenntnissen zu den Unterschieden von Gesundheit und Krankheit bei Frauen und Männern gibt. Diese Unterschiede spielen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie eine Rolle.
Während Anfang des Jahrtausends Deutschland und Schweden Vorreiter für eine geschlechtssensible Medizin waren, wird nun mehr in den skandinavischen Ländern, in den USA und Kanada dazu geforscht. An der Charité in Berlin ist die Gendermedizin Pflichtfach, anderswo Wahlfach. Die Universität Zürich etablierte gerade ein Curriculum für Gendermedizin.
Die biologischen Unterschiede betreffen nicht nur die Geschlechtsorgane, sondern sind über hormonelle Steuerungen auch in anderen Körperzellen nachweisbar. Mittlerweile geht man davon aus, dass die genetische Ausstattung zu ungefähr 60-70 Prozent bestimmte Veranlagungen formt. Dabei findet der Körper Mittel und Wege, um die vererbten Gene zu regulieren, die Funktionsfähigkeit der Zellen immer wieder neu zu ändern. Diese Genregulation, die in der Epigenetik erforscht wird, kann Wirkungen anschalten oder blockieren.
Da die Autorinnen für ein breites Publikum schreiben, empfehlen sie wiederholt allgemeine Tipps; raten zu einem gesunden Lebensstil, der den Einfluss ungünstiger Genkonstellationen mildert.
Das Leben hinterlässt seine Spuren auch auf den Genen. Unterschiedliche Lebensumstände prägen, Gehirnstrukturen bilden sich durch Erfahrungen aus. All dies sei sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Therapie zu bedenken. Gendersensible Medizin helfe allen Menschen, sind die beiden Fachärztinnen überzeugt.
Die Medizinerinnen listen auf, wie unterschiedlich der Bedarf an Mineralien und Vitaminen bei Frau und Mann ist; weisen nach, dass einzelne Blutwerte differieren, folglich andere Medikamente verordnet werden müssen. Fett- und Muskelmasse sind unterschiedlich verteilt. Das Immunsystem scheint bei Frauen stärker als bei Männern, wendet sich allerdings anscheinend auch öfter gegen den eigenen Körper.
Da eher negative Folgen von Hormonschwankungen thematisiert werden, wissen Frauen darüber oft mehr als über die positiven Möglichkeiten hormoneller Wellenbewegungen.
Den Autorinnen ist es ein Anliegen, aufzuzeigen, wie wir unsere Gesundheit pflegen können. Ressourcen stärken, nutzen, fördern, so fordern sie; verweisen immer wieder auf Bewegung, gesundes Essen, Psychohygiene. Ausführlich widmen sie sich den Unterschieden von Frau und Mann in Anatomie, Physiologie und Pathologie, erläutern an konkreten Beispielen wie medizinische Behandlungen auf die Differenz eingehen können.
Auf der Webseite der von ihnen mit gegründeten Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin, www.dgesgm.de publizieren sie neueste Forschungsergebnisse.
Auch wenn feministisch bewanderten Lesenden einiges bereits vertraut ist, bekräftigt die Lektüre wieder: Nicht Gleichmacherei führt zu Gleichberechtigung, sondern Unterschiede zu beachten bringt Gleichwertigkeit.

Prof. Dr. med Vera Regitz-Zagrosek, Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer: Gendermedizin – Warum Frauen eine andere Medizin brauchen, mit Praxistipps zu Vorsorge und Diagnostik, Scorpio im Europa Verlag München 2020, 278 Seiten

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