leben und sterben
Leben und sterben…
Sterben kann man nicht lernen – oder doch?
In letzter Zeit gibt es viele Bücher zu diesem Thema. Angefangen hat es wohl mit dem Buch der Australierin Bronnie Ware: «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen». Einsichten, die Ihr Leben verändern werden, lautet der Untertitel. Darin erzählt die Palliativpflegerin von den Menschen, die sie betreut hatte. Diese Menschen an ihrem Lebensende bereuten weniger das, was sie getan hatten – nämlich meist viel arbeiten. Vielmehr tat es den meisten leid, dass sie sich bestimmte Dinge nicht getraut hatten, vor allem nicht mutig genug waren, ihr eigenes Leben wichtig zu nehmen.
Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen – Einsichten, die Ihr Leben verändern werden, Goldmann Verlag München 2012, aus dem englischen von Wibke Kuhn, 350 Seiten
Nun erzählt der Palliativmediziner Matthias Gockel auf eindrückliche Weise davon, wie wichtig es ist, über das Sterben zu sprechen. Schliesslich erwartet es uns alle. In seinem Buch ermuntert er dazu über den Tod nachzudenken und darüber zu reden. Er tut dies so lebendig, berichtet von seiner Berufswahl, seinem Wunsch nach Intensität, beschreibt, was am Ende des Lebens abläuft, stellt das derzeitige medizinische Wissen vor, erläutert mit Beispielen aus der Praxis, wie ein Lebensende sich darstellen kann. Gockel bleibt nicht beim medizinischen Fachwissen stehen, sondern erzählt mit ehrlicher Klarheit von magischen Momenten in den verschiedenen Sterbezimmern. Spiritualität stellt er mit Humor vor: «An wen sollten Sie sich denn sonst damit wenden, wenn nicht an den Halbgott in Weiss? Ich besitze qua Definition zwar nur fünfzig Prozent der relevanten Informationen, aber mit dieser Hälfte können wir ja schon mal anfangen. Den Rest erfahren Sie dann, nachdem ich Sie an den Kollegen auf der anderen Seite überwiesen habe.»
Matthias Gockel (mit Oliver Kobold): Sterben – warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen. Ein Palliativmediziner erzählt, Berlin Verlag München 2019, 267 Seiten
Die Biologin Barbara Ehrenreich geht von der «Wellness-Epidemie» aus und fragt: Wollen wir ewig leben?
Warum nicht in Würde altern? Warum nicht die Welt geniessen? Sie zitiert ein Gedicht von Bertolt Brecht, das ihre Haltung zusammenfasst:
«Als ich im weissen Krankenzimmer der Charité
Aufwachte gegen Morgen zu
Und die Amsel hörte, wusste ich
Es besser. Schon seit geraumer Zeit
Hatte ich keine Todesfurcht mehr. Da ja nichts
Mir je fehlen kann, vorausgesetzt
Ich selber fehle. Jetzt
Gelang es mir, mich zu freuen
Alles Amselgesanges nach mir auch.
Barbara Ehrenreich: Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle, aus dem englischen von Ursel Schäfer und Enrico Heinemann, Kunstmann Verlag, München 2018, 253 Seiten
Die forensische Anthropologin Sue Black begann als Zwölfjährige in ihren Schulferien in einem Metzgerladen zu jobben. Dabei lernte sie viel über die Grundlagen ihres heutigen Berufs, studierte dann Biologie und beschäftigte sich hauptsächlich mit Histologie, dem Studium der menschlichen Zellen. Bei dieser Naturwissenschaftlerin gefällt mir besonders, wie sie den Menschen einerseits nüchtern so definiert: «Menschen gehören zu der Gruppe bewusster Lebewesen, die auf Kohlenstoff basieren, vom Sonnensystem abhängig sind, begrenztes Wissen besitzen, Irrtümern unterliegen und sterblich sind.» Einige Seiten weiter schreibt sie dann über ihre Grossmutter, die ihr versprochen habe, sie nie zu verlassen. Sie würde immer auf ihrer linken Schulter sitzen und ihr, wenn sie es bräuchte, ihren Rat schenken. Also ausgestattet mit Verstand und Gefühl kann Sue Black ihre anspruchsvolle Arbeit erfüllen: oft ist sie im Einsatz der Vereinten Nationen auf ehemaligen Schlachtfeldern tätig oder sie unterstützt das britische forensische Team bei kniffligen Kriminalfällen. Sue Black stellt sich für ihre Arbeit verschiedene Räume vor, so dass sie selbst in äusserst belastenden Situationen wie dem Exhumieren der Leichen im Kosovo sich aus den vorgestellten Räumen bewusst wieder hinaus begeben kann. «Ich halte mich nicht für gleichgültig oder gefühlskalt, aber für sehr überlegt», schreibt sie. Warum überhaupt ein solches Buch? «Nun, da ich weniger Zeit vor mir als hinter mir habe, fange ich an mich mit der Schwelle zu beschäftigen, die ich irgendwann in den nächsten dreissig Jahren überschreiten muss. Ich habe keine Angst davor.»
Sue Black: Alles, was bleibt – mein Leben mit dem Tod, aus dem englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger, DuMont Verlag Köln 2018, 414 Seiten
Ein Tag hat viele Leben – ja – genauso wie ein Leben viele Tage hat. Wir sind nicht ständig gleich, wir wechseln unsere Stimmungen, unsere Launen – vielleicht genauso wie unsere Wäsche…Mit unseren verschiedenen Seinsformen, Facetten des Lebens setzt sich Andreas Salcher, Unternehmensberater in Österreich auseinander und trägt in diesem Buch seine Erkenntnisse und Erfahrungen mit der Endlichkeit des Seins vor wie: Ja zum Alter sagen, Bedeutung von Liebe und Arbeit. Was eben am Ende wirklich zählt…
Andreas Salcher: Meine letzte Stunde – Ein Tag hat viele Leben, Goldmann Verlag München 2013, 255 Seiten
Schon der Titel dieses Buchs lockte, ebenso der schöne sich seidig anfühlende Einband sowie ein dunkelblaues Lesebändchen. Das erfreut uns Lesende. Die in England gefeierte Romanautorin widmet das Buch ihrer Mutter, denn gerade in Familien wird bei Gesprächen oft das Wichtigste ausgespart. Fane gibt wunderbare Fragen mit auf den Weg, um Gespräche nahrhaft zu gestalten. So erlebe ich es zumindest: nach einem guten, tiefen, lustvollen Gespräch, wo auch Lachen seinen Platz findet, gehe ich mit wohligem Gefühl von dannen. Hier ein paar Kostproben: „Als Kind stellte ich zweierlei fest: 1. Kinder änderten dauernd ihre Meinung, zum Beispiel darüber, mit wem sie spielen wollen; 2. Erwachsene änderten niemals ihre Meinung. Sie waren unüberzeugbar…Wann haben Sie zuletzt Ihre Meinung geändert?“ Oder: „Wie wären wir geworden, wenn wir nach der Geburt adoptiert worden wären?“ Oder: „Was wirst Du am meisten vermissen, wenn ich tot bin?“ Ich wünsche fruchtbare, förderliche Gespräche!
Olivia Fane: Über das Wetter können Sie auch noch reden, wenn Sie tot sind – 60 Ideen für richtig gute Gespräche, aus dem englischen von Nicole Seifert, Knaur Verlag München 2014, 255 Seiten
Das Leben vom Ende her betrachten – ein beim älter werden immer wieder auftauchender Impuls. Christiane zu Salm, früher Medienmanagerin, begleitet ehrenamtlich Sterbende in ihren letzten Stunden. Dabei lässt sie sich gern das Leben dieser Menschen schildern, bittet sie, ihren eigenen Nachruf zu schreiben oder ihr zu diktieren. Dies hatte sie bei ihrer Ausbildung zur Sterbebegleiterin selbst tun müssen. Dabei geht es nicht ums urteilen, sondern darum, das Leben wertfrei anzunehmen, das eigene Leben zu würdigen. Die in diesem Buch gesammelten eigenen Nachrufe gehen zu Herzen.
Christiane zu Salm: Dieser Mensch war ich – Nachrufe auf das eigene Leben, Goldmann Verlag, München 2013, 253 Seiten