Frau Bartsch reist sich zusammen
Erst dachte ich an einen Druckfehler beim Lesen des Buchtitels, doch schnell freute mich das doppeldeutige Wortspiel. Frau Bartsch legt sich nämlich ein Wohnmobil zu, reisst sich nicht zusammen, sondern macht was sie will: reisen.
Reisen erscheint ihr die beste Art, den plötzlichen Unfalltod des geliebten Manns zu verkraften. Sie will nicht im vertrauten Heim bleiben, wo alles an vergangene schöne Zeiten erinnert, sondern frei von Erwartungen anderer Menschen trauern.
Sie beschäftigt sich mit Trauertheorien, findet sie unpassend, schliesslich ist Trauer individuell. Sie will sich erleben mit all ihren Gefühlen und Gedanken. Dieses Annehmen von dem was ist, hat sie in ihren Ausbildungen zum Coach gelernt, in ihrer Arbeit als Mediatorin weitergegeben.
Sie nimmt sich eine mehrmonatige Auszeit, begibt sich auf die Reise vom Wir zum Ich: Frau Bartsch on the road erlebt ein Wechselbad von Gefühlen.
Sie schildert Alltagsbegebenheiten: am Wohnwagen ist etwas kaputt gegangen, muss etwas geflickt werden, müssen Gasanschlüsse zusammenpassen. Das gibt zu tun. Bisweilen funktioniert das Handy nicht, der Speicherplatz reicht nicht fürs Streamen, eine für das jeweilige Land passende SIM-Karte muss besorgt werden.
Da die Autorin während der Corona-Zeit mit zahlreichen Auflagen und Verboten reist, gilt es immer wieder eruieren, wo was erlaubt ist. Frau Bartsch findet Lösungen.
Nachdem sie zum Eingewöhnen zunächst in Deutschland und den Niederlanden das Kutschieren des grossen Gefährts ausprobierte, geht es nach einiger Zeit gen Süden: Frau Bartsch tankt auf, rüstet auf, verliert ihre Angst vor Hunden, übt das Loslassen, geniesst den Regen, interpretiert falsch und schämt sich.
Während die Kapitelüberschriften von Frau Bartsch in der dritten Person sprechen, erzählt die Autorin in der Ich-Form: Nähe entsteht. Ihr ehrliches Reflektieren schenkt auch mir als Lesender Nachdenkenswertes. So zum Beispiel, wenn sie von der Wahrgebung spricht, mit der sie die Welt betrachtet – wir machen das wahrscheinlich alle, dass wir eben nicht nur wahrnehmen, sondern ganz oft dem Geschehen alles mögliche beigeben.
Nachdem sie einmal über eine Campingplatz-Nachbarin etwas Negatives berichtet hatte, nimmt sie sich vor, nur noch das Positive zu benennen. Sie entscheidet sich für ihre Wahrgebung und fährt damit bestens: beinahe überall erfährt sie Hilfe, Trost, Zuwendung.
Nach ihren Wohnmobil-Abenteuern beginnt Frau Bartsch eine neue Arbeit und geniesst ihr frisches zweisames Glück. Auf einer neuerlichen Reise nach Sizilien entsteht aus ihrem Reiseblog das vorliegende Buch.
Die Lernerlebnisse der Autorin entpuppen sich auch für die Lesenden als lehrreich. Eine lohnende Lektüre!
Stephanie Bartsch: Frau Bartsch reist sich zusammen – Wie ich auszog das Trauern zu lernen und unterwegs das Glück fand, Berlin Verlag in der Piper GmbH, Berlin 2023