Wellness=Wohlbefinden?
Ist Wellness dasselbe wie Wohlbefinden? Wohl kaum. Wohlbefinden stellt sich ein, wenn ich frohgemut lebe. Mich hinaus wage, von mir auch einmal absehen kann. Wellness fordert allerlei Anstrengungen, versagt dieses und jenes, verlangt ein ständiges Kreisen um sich selbst, um das eigene Befinden. Wohlbefinden bezieht auch die andern, die Gemeinschaft mit ein. Wellness ordnet das Leben einem bloss nicht alt werden unter. Allein die Formulierungen – meist fallen die Worte Kampf, Abwehr gegen Alterungsprozesse etc. – weisen eher auf einen Krieg gegen das Leben mit seinen Zu- und Wechselfällen hin als auf ein herzhaftes Hinein ins Leben.
Mit diesen Themen beschäftigt sich die Wissenschaftsjournalistin Barbara Ehrenreich, Jahrgang 1941 – sie weiss also aus eigener Erfahrung wovon sie schreibt. Als promovierte Biologin und Physikerin kann sie immer wieder neu auftauchende wissenschaftliche Erläuterungen zum Altern einordnen: als Versuch Kontrolle zu erlangen. Die gibt es nicht. Weder helfen Theorien, warum es beispielsweise Krebszellen gibt, wenn Zellen doch wohlgeordnet das Leben erhalten sollen, noch garantiert beflissenes Befolgen von Diäten oder Sportübungen ewige Gesundheit. Auch Religionen helfen da kaum weiter. Ehrenreich fragt, ob das Leben besser wird, wenn jährlich Untersuchungen immer wieder Ängste hervorrufen, Befürchtungen wecken.
„Als ich erkannte, dass ich alt genug zum Sterben war, beschloss ich, dass ich auch alt genug war, um für ein längeres Leben nicht mehr Leiden, Verdruss und Langeweile auf mich zu nehmen….Was die Medizin betrifft, so gehe ich zum Arzt, wenn ich ein Problem habe, lasse aber nicht mehr nach Problemen suchen.“ (S. 17)
Wie wollen wir die Zeit verbringen, die uns bleibt? Das ist die Frage, die beim Älterwerden umtreibt. Und nach einer ganz persönlichen Entscheidung verlangt. Die Lebenszeit ist so kostbar, dass sie gefeiert und nicht in Wartezimmern und Behandlungsräumen verbracht werden sollte. Ehrenreich verschliesst nicht die Augen vor der Wirklichkeit, sondern öffnet sie weit, betrachtet neueste Forschungen aus Physik, Biologie, Medizin und Soziologie, wirft einen Blick in philosophische und religonswissenschaftliche Theorien, um dann beherzt das unabwendbare Ende anzuschauen: „Zu sterben und in einer toten Welt aufzugehen, …ist eine Sache, aber eine ganz andere ist es, wenn man dabei in der gegenwärtigen Welt aufgeht, in der es wimmelt von Leben, von anderen handelnden Mächten als unseren und letztlich von endlosen Möglichkeiten…..ist der Tod kein erschreckender Sprung in den Abgrund, sondern eher eine Umarmung durch das weiterhin brodelnde Leben.“ (S. 229)
Ehrenreich beendet ihr Buch mit Bertolt Brechts letztem Gedicht, das er 1956 auf dem Totenbett schrieb:
„Als ich in weissem Krankenzimmer der Charité
Aufwachte gegen Morgen zu
Und die Amsel hörte, wusste ich
Es besser. Schon seit geraumer Zeit
Hatte ich keine Todesfurcht mehr. Da ja nichts
Mir je fehlen kann, vorausgesetzt
Ich selber fehle. Jetzt
Gelang es mir, mich zu freuen
Alles Amselgesangs nach mir auch.“
Barbara Ehrenreich: Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle, Kunstmann Verlag München 2018, 253 Seiten