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Yoga Vielfalt im Val d’Anniviers

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„The mind may wander/wonder, it is ok, gently return to your breath“

Ganesh Mohan

„Der Geist mag wandern (oder sich wundern), das ist in Ordnung, kehre sanft zu Deinem Atem zurück“.

Diesen Satz wiederholte Ganesh Mohan, Arzt, Ayurvedatherapeut und Yogalehrer an jedem Tag seines morgendlichen Übungsangebots während der 43. Europäischen Yogakonferenz vom 21. bis 26. August 2016 in Zinal im schweizerischen Wallis. Die Doppeldeutigkeit, die in der kaum unterscheidbaren englischen Aussprache von wander/wonder liegt, war wohl gewollt. Schliesslich gehe es darum, präsent zu sein, im Leben Yoga zu praktizieren bzw. Yoga in den Alltag zu tragen und sich dem Wunder des Lebens immer wieder zu öffnen.

Svastha – Gesundheit – lautete das Motto der einwöchigen Konferenz im über 1600 m hoch gelegenen Val d’Anniviers Ende August diesen Jahres.

Svastha – so der 71-jährige A.G. Mohan, Vater von Ganesh und Mitbegründer von Svastha Yoga und Ayurveda – lasse sich als „Sei Du selbst“ übersetzen. Gesund sei es, das Passende zu finden, also Yoga so zu üben, dass es gut tut – nicht einem bestimmten Yogastil zu folgen.

„Du brauchst den Geist nicht zu kontrollieren – Du bist Dein Geist. Dieser verändert sich ständig – es gibt weder Glück noch Unglück – unsere Antwort auf den stetigen Wandel, unsere Wahrnehmung, färbt das Geschehen positiv oder negativ. Wenn Du dich in den Zustand von Sattva bringst, dann enthüllt sich das wahre Selbst, dieses ist beständig.“ Sattva, unter den drei Gunas/Eigenschaften der Zustand von Klarheit, reinem Sein, kann – so klang es immer wieder in den Vorträgen und Workshops der Mohan Familie an – durch Yoga erlangt werden. Ziel des Yoga ist Svastha/Gesundheit. Die erreicht man durch vritti nirodha – also das zur Ruhe gelangen des Geistes.

Wie wird der Geist ruhig?

„Befreie Dich von tamas und rajas, von der Trägheit und der Aufgeregtheit. Asanas reduzieren rajas, die Praxis führt zu Stabilität – physisch wie mental. Der Körper wird leicht und tamas schwindet. Verbinde die Bewegung mit dem Atem – so gelangst Du zu Sattva. Achtsames Atmen ist Pranayama. Asanas ohne Achtsamkeit sind wie Gymnastik – Asanatics. Sattva ist der natürliche Zustand unseres Seins – Yoga und Ayurveda versprechen nicht nur Glück, sondern auch Frieden und Gesundheit“, erläutert A.G. Mohan und damit wir mehr als hundert sitzend seinem Vortrag Lauschende gleich begreifen, wie sich tamas und rajas anfühlen, kommt Sohn Ganesh herbei und heisst uns aufzustehen. Langes Sitzen – das wird später auch der Orthopäde Dr. Günter Niessen immer wieder betonen – sei ungesund. Nun sollen wir den Kopf hängen lassen, mit rundem Rücken stehen, den Blick senken – tamas erfahren. Danach lässt Ganesh Mohan uns herum hampeln – rajas erleben und schliesslich dehnen wir uns, lächeln uns und den anderen zu, fühlen uns freudig frei in Sattva.

Während Vater Mohan in der traditionellen, durch Yoga Aus- und Weiterbildungen in Indien vertrauten Diktion spricht – bisweilen mit altmodisch klingendem Humor gewürzt – bringt Ganesh die Yoga Philosophie in eine heutige, moderne Sprache. Ihm zuzuhören ist leicht, denn er bezieht sich auf Erfahrungen, die unserem jetzigen Leben entsprechen. Seine Bilder und Gleichnisse haben eher mit westlichem Berufs- und Arbeitsleben zu tun.

Vater und Sohn Mohan wie auch Indra und Nitya Mohan, Mutter und Tochter reisen seit Jahren durch die Welt, um Yoga zu verbreiten. Allen vieren gelingt auf wunderbare Weise die Verbindung zwischen Tradition und Moderne. Ihre Basis ist weiterhin im südindischen Chennai, wo A.G. Mohan das Krishnamacharya Mandiram mit begründete und von 1976 bis 1989 als Sekretär ehrenhalber fungierte, war er doch langjähriger Schüler von Tirumalai Krishnamacharya (1888-1989), der als Vater des modernen Yoga gilt.

A.G. Mohan befreit Yoga von dogmatischen Anschauungen: „Unser Leben bietet stets eine Mischung aus den drei Gunas/Eigenschaften. Bindung oder Abneigung sind Gefühle, die ans Ich gebunden sind und uns unfrei machen. Strebe ich nach Sattva, suche diese Klarheit, habe ich mehr Möglichkeiten, kann besser wählen und entscheiden.“

Klassisches Yoga habe wohl komplett die Bewegungen des Geistes ausschalten wollen, sagt Mohan, doch soweit brauchen wir nicht zu gehen. Gänzliches zur Ruhe gelangen mag ein Ziel sein, doch reiche es in den Zustand von sattva zu gelangen.

Ganesh Mohan, der die Ausbildungs- und Therapieprogramme im Svastha Yoga leitet, spricht in seinen morgendlichen Yogastunden immer wieder die Gefühle an: sie dürfen sein, können in sattva übergehen, wenn wir uns akzeptieren und innehalten, aufmerksam werden. „Einatmend fülle ich mich mit Leichtigkeit und Licht, ausatmend fühle ich mich ruhig und sicher“, leitet er eine Meditation an. Wir können das Gefühl von Frieden kreieren und kultivieren, rät er und ermuntert, freundlich mit sich zu sein, beim Asana üben keine Rekorde anzustreben, sondern den Körper weise zu gebrauchen. Asanas sollen unsere Beziehung zu uns selbst über den Körper verbessern.

Nitya Mohan, Ganeshs Schwester, lehrt Yoga für besondere Bedürfnisse und unterrichtet vedisches Chanten. „Entdeckt die Farben des Atems, der Stimme und lebt sie“, formuliert sie ihre Botschaft, was einer seit Jahrzehnten Yoga praktizierenden Teilnehmerin ein Aha-Erlebnis beschert: „endlich verstehe ich, was Mantra singen bedeuten kann!“

Dass ein Mantra schützt, indem wir ihm die Kraft unserer Intention mitgeben, betont Indra Mohan, die Mutter, die seit drei Jahrzehnten Yoga lehrt und als eine der wenigen Frauen ein Diplom von Krishnamacharya erhielt.

Was Familie Mohan im Frühmorgenseminar, im Referat, im Workshop auf englisch anregt, wird bei den Seminaren des Orthopäden und Traumatherapeuten Dr. Günter Niessen auf deutsch vertieft und mit Übungsbeispielen erfahrbar gemacht. Niessen entdeckte Yoga durch seine Frau – „sie kehrte meist vergnügt und froh gestimmt vom Yoga nach Hause, da wollte ich dies auch.“ So übt er seit bald 20 Jahren Yoga, betrachtet in seiner Praxis Beschwerden des Bewegungsapparats ganzheitlich und sucht in verschiedenen Disziplinen nach Lösungen, um die Heilung zu unterstützen.

Auch in seine Workshops strömen die Yogis und Yoginis, und stellen fest, dass ihre Konzepte und Vorstellungen hinterfragt werden. Er geht das Üben von Asanas frei und kreativ an: „Es gibt 502 Arten von Schulterbrücken, probier’ sie aus! Ein Tag ohne neues Asana – wo kommen wir da hin. Wenn wir Neues nicht mal auf der Matte üben, machen wir es auch im Alltag nicht, bleiben in alten Mustern hängen – wie langweilig.“ Man entwickle sich nicht durch weiter machen wie bisher, alte Muster gehören durchbrochen, findet er und lockt zum experimentieren, spielen.

Seine Fragen verwirren einige, bestärken andere, regen zum Nachdenken an: „Warum üben wir? Worum geht es? Was ist das Ziel? Führt Yoga dazu, dass ich mich freudvoll in Ordnung finde?“ Es gehe nicht darum, dass der Kurs jetzt anfängt – er habe schon angefangen: beim Mittagessen, vorhin beim einkaufen im Supermarkt, beim warten an der Kasse. „Man muss nicht in den Kopfstand, um Yoga zu üben – Yoga ist jetzt, es geht darum, es in den Alltag zu bringen!“ Auch ihm ist es wichtig, sich selbst freundlich zu begegnen, sich zuzulächeln, Freundschaft mit dem Atem zu schliessen. „Alles was gut tut, ist ok. So kann auch die Gesellschaft gesunden“.

„Begegne allem was ist mit Liebe, auch Deinen Schmerzen“, rät der Arzt. Ein Asana sollte sich gut anfühlen, wir sollen uns wohlfühlen beim Tun. Yoga solle Probleme lösen und nicht erzeugen.

Natürlich gibt er viele Hinweise aus seiner orthopädischen Praxis, bleibt dabei aber auch beim frohgemuten Ausprobieren. Alle Traditionen sind ja noch relativ jung, so kann man durchaus eine Tradition namens Improvisation begründen, lacht er.

Familie Mohan wie auch Günter Niessen waren als Ehrengäste zu dieser seit 1973 stets Ende August in Zinal stattfindenden Konferenz geladen neben zwölf weiteren Yogalehrenden aus verschiedenen europäischen Ländern. Die Hauptkurssprachen beim Kongress sind englisch, französisch, niederländisch und deutsch. Ausserdem gibt es meist noch Morgen- oder Abendseminare auf italienisch und spanisch. So konnten die rund 420 Teilnehmenden aus 25 Ländern täglich unter sechs bis neun Veranstaltungen in verschiedenen Sprachen auswählen.

Alle ReferentInnen wurden bei der abendlichen Eröffnungszeremonie von einer Vertretung ihres Verbands vorgestellt. An einem der folgenden Abende konnte man beim „Meet & Greet“ die Stände der einzelnen Verbände in der grossen Mehrzweckhalle der Gemeinde Zinal besuchen und wurde mit verschiedenen nationalen Leckereien verköstigt. Christine Schönherr, Tanztherapeutin, Sprecherzieherin und Yogalehrerin aus Salzburg, seit Jahren Teilnehmende wie auch Referentin, lockte an einem anderen Abend zu verbindenden Tänzen.

Der Charme des Kongresses liegt darin, dass man in diesem Hochtal für eine Woche fast wie bei einem Retreat sich ganz dem Yoga widmen kann und dank der imposanten Bergwelt der Walliser Alpen zur Ruhe gelangt. Sei es, dass man in den Pausen dem Rauschen des Gletscherflusses Navisence lauscht oder zu einem der Aussichtspunkte auf den bis zu 4000 m hohen Bergen wandert. Dieses Gesamtpaket aus Yoga, Natur, Begegnung und Ruhe – wie es einer der jüngeren Teilnehmer formulierte – lohne die lange Anreise, zumal der Preis für diese hochwertige Konferenz so kalkuliert ist, dass auch die von weither Kommenden nicht zu tief ins Portemonnaie greifen müssen. So nahmen in diesem Jahr mehr junge Leute teil als in den vergangenen Jahren, viele von ihnen kamen das erste Mal und waren hingerissen von der Mischung aus Yoga Praxis und Theorie. „Das komplexe Yoga Sutra so auf den Punkt zu bringen, dass es alltagstauglich wird – super“, freute sich ein Therapeut aus Österreich. Ein Anwalt aus dem Ruhrgebiet begeisterte sich an der naturwissenschaftlichen Fundierung und der undogmatischen Herangehensweise. Die Vielfalt der Stile aus den verschiedenen Ländern in den unterschiedlichen Sprachen faszinierte alle Teilnehmenden.

Wandert man in die Geschichte der Europäischen Yoga Union zurück findet man viele wunderbare Männer und Frauen, die sich Anfang der 1970er Jahre zusammen setzten und einen gemeinsamen Verband gründeten. Bereits 1973 lud Gérard Blitz, der mit Claude Peltier aus Frankreich, Friedrich Schulz-Raffelt aus Deutschland, André van Lysebeth aus Belgien und anderen Yogalehrenden zu den Initianten gehörte, in den von ihm gegründeten Club Méditerranée in Zinal zu einer Konferenz ein. Bis Ende der 1980er Jahre fanden die Kongresse dort statt mit Themen wie:

Yoga und die indische Tradition

Was ist die Rolle des Westens?

Vedanta und Prana

Evangelien und Yoga

Körperbewusstheit

Menschsein und Leiden

Hatha Yoga führt zur Meditation.

Als der Club Med verkauft wurde, baute die Gemeinde Zinal ein Mehrzweckhaus und die Wirte verschiedener Hotels und Pensionen stellten Räume für die Yogakonferenz zur Verfügung. Seitdem wandern die Teilnehmenden zwischen ihren Unterkünften und verschiedenen Seminarräumen, Sälen, Zelten hin und her und wenden sich vielfältigen Themen zu:

Yoga und die Sinne

Transformation

Orient und Okzident

Lebenskunst

Yoga und Wissenschaft

Yoga und Gesellschaft

Ayurveda sowie vielem mehr.

Die 24 in der europäischen Yoga Union zusammengeschlossenen Verbände gaben sich Richtlinien um die Ausbildung zu Yogalehrenden zu vereinheitlichen und für die Qualitätssicherung zu sorgen.

Die Konferenz der europäischen Yoga Union in Zinal hat sich in diesem Jahr einerseits als Hort der Tradition bewährt und andererseits mehr als in den Jahren zuvor die Tore weit geöffnet für neue Strömungen. Besonders wohltuend fiel auf, dass alle Lehrenden grosse Offenheit füreinander zeigten. Wohlwollend wurde der modische Hype um Yoga als Eintrittskarte für tiefergehendes Eintauchen in die Spiritualität des Yoga gedeutet. Das sonnige Wetter strahlte um die Wette mit der angenehmen Toleranz, die während der Konferenz das Beisammensein heiter stimmte.

Wenn der Geist, der ja nicht ohne den Körper existiert, im nächsten Jahr wandern will:

Die 44. Europäische Yoga Konferenz vom 20. Bis 25. August 2017 steht unter dem Motto: Atha – Yoga ist jetzt. Als Ehrengast wird der in Frankreich lebende T. K. Shribhashyam, Krishnamacharyas dritter Sohn, erwartet.

https://www.europeanyoga.org/en/

 

 

Luna Yoga