Die Wirbelsäule im Luna Yoga
Wirbel wollen wirbeln, die Säule soll stabil bleiben
Stimmt es, dass die Beweglichkeit unserer Wirbelsäule etwas über unser Alter verrät? Da könnte etwas dran sein, denn oft lässt sich am Gang, an der Haltung erkennen, wie alt oder jung sich jemand fühlt.
Es lohnt sich also, dieser wunderbaren Konstruktion in unserer Körpermitte Aufmerksamkeit zu schenken.
Im Yoga spielt die Wirbelsäule eine wichtige Rolle: wir freuen uns an der Aufrichtekraft, verbinden uns mit der Erde, wenden uns dem Himmel zu; wir geniessen diese Klarheit beim Meditieren und finden Gefallen an den verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten:
Voll Vertrauen können wir uns vorbeugen;
sanft dehnen wir die Flanken in der Seitbeuge;
ruhig geben wir uns der Rückbeuge hin und
drehen uns dankbar um diese Achse, die Schönheit der Welt betrachtend.
Die Wirbelsäule verleiht uns Stehvermögen, lässt uns einen Standpunkt einnehmen und den Stand der Dinge wahrnehmen.
Zwei Bewegungsfolgen im Besonderen verdeutlichen mir beim Üben, was mich im Innersten zusammenhält, stützt und trägt.
Im Planetengruss erkunde ich die Vielfalt und täglich unterschiedliche Beweglichkeit meiner Wirbelsäule; in der tibetischen Niederwerfung spüre ich meine Verbundenheit mit Himmel und Erde, berühre die Chakren, werde mir der Energiesammelpunkte entlang der Wirbelsäule bewusst.
Beim Planetengruss mache ich mir gleich zu Anfang die S-Form der Wirbelsäule bewusst, ich spüre mich von unten nach oben, lenke meinen Atem so, dass er den ganzen Rumpf erfüllt und imaginiere mittendrin die Wirbelsäule, die mich von innen hält. Wie stehe ich heute da? Was geschieht, wenn ich die Arme ausbreite? Die immer vorhandene Energie führe ich zum Herzen, indem ich die Hände aneinander lege und vors Brustbein gebe. Ganz präsent nehme ich den Einklang von Körper, Geist und Seele wahr. Mich hinauf dehnend recke ich die Arme weit nach oben über den Kopf und fühle mehr Raum zwischen den Wirbelkörpern. Lustvoll ziehe ich mich in die Länge, strebe dem Himmel zu und stelle mir beim ruhigen Rückbeugen Sonnen, Monde, Sterne und Planeten wie auch Kometen und Sternschnuppen vor. Ich fühle mich eingebunden in den Kosmos. Im tiefen, feinen Atemrhythmus richte ich mich auf und beuge mich vertrauensvoll nach unten, grüsse die Erde. Gelange mit diesen Kräften wieder in meine Mitte, stehe zentriert und visualisiere zur Seite dehnend den Halbmond, atme tief in die Flanken, mitte mich ein und schiebe das Becken dann zur anderen Seite. In der Mitte sammle ich mich und beuge die Knie, sodass ich angenehm, wohltuend aus dem gesamten Rumpf drehen kann. Nach links und nach rechts , um so die beiden Seiten des Lebens mir ins Bewusstsein zu rufen. All dies ermöglicht mir die Wirbelsäule.
Nun soll die Wirbelsäule allerdings weniger das Gewicht tragen als das Gewicht verteilen. Dabei hilft ihr das mittlerweile in die Aufmerksamkeit der Forschung gelangte Bindegewebe. Genau wie alle Muskeln und alle Organe von Faszien umhüllt sind, stecken auch die Wirbelkörper im Netz der Faszien. Da dieses Netz unseren gesamten Körper durchzieht, spielen alle Bewegungen miteinander und bedingen einander. Die Wirbelsäule isoliert zu betrachten scheint also wenig förderlich, wenn ich mich mit gesunder Statik und heilsamer Bewegung beschäftige. Immer gilt es das Ganze, den ganzen Körper, die ganze Person zu beachten. Hilfreich sind mir dabei Bilder: äussere, indem ich immer wieder in verschiedene Anatomiebücher schaue und innere, die ich mit meiner Vorstellungskraft erwecke. Wie anders bewege ich die Wirbelsäule, den Rumpf, wenn ich mir zugleich das Netz der Faszien ins Bewusstsein rufe, dieses geschmeidige Gewebe mir vor Augen führe, den hohen Anteil des Flüssigen in mein Strecken und Recken einbeziehe. Wahrscheinlich läuft die Bewegung runder, fühlt sich das Dehnen geschmeidiger an, räkele ich mich mit mehr Genuss und werde im Ergebnis mit Wohlbefinden belohnt.
Mit diesem ganzheitlichen Körperbild fällt es möglicherweise leichter sich einem anderen energetischen Konzept zuzuwenden: den Chakren. Übersetzt mit Wirbel oder Rad reihen sich diese Energiesammelpunkte entlang der Wirbelsäule auf und werden meist an Drüsen oder Nervengeflechten imaginiert.
Bei der tibetischen Niederwerfung berührt man mit zusammengelegten Händen Chakra für Chakra, lässt sich ein auf das eigene Empfinden. Dieses Wort besagt schon, dass es um das innere Finden geht. Was fühle ich in meinem Inneren?
Gut geerdet stelle ich mich den eigenen Körpermaßen gemäß hin, die Füße parallel hüftbreit auseinander, genieße die Erdanziehungskraft und richte mich auf und aus, spüre wie der Atem sanft den Rumpf bewegt, nehme das Heben und Senken des Brustkorbs wahr, bringe die Arme nach oben, lege die Hände zusammen und stelle mir vor: überall ist Energie, ich bin ein Teil davon. Die zusammengelegten Hände berühren mit den Handwurzeln das Scheitelchakra: ich verbinde mich mit dem Kosmos, weiss: die Zirbeldrüse koordiniert die äusseren Zyklen von Tag und Nacht, hell und dunkel, der Jahreszeiten mit den inneren Rhythmen der Organe. Wenn ich die Hände zum dritten Auge führe, vergewissere ich mich meiner Intuition, denke an die Hirnanhangdrüse, die den gesamten Hormonhaushalt dirigiert. Die Hände zur Kehle führend, wird mir meine Stimme, meine Sprache, mein Hören bewusst. Auch das Hören auf die innere Stimme der Ahnungen. Die Schilddrüse reguliert alle Stoffwechselvorgänge. Beim Herzen bedanke ich mich, dass es mich treu ein Leben lang begleitet, sich allen Begebenheiten rhythmisch anpasst und ich kreiere Liebe, die sich überall hin ausbreitet. Auch die Thymusdrüse, bedeutend für unser Immunsystem und unseren Mut beziehe ich ein. Beim Nabelzentrum imaginiere ich die Bauchspeicheldrüse, die symbolisch auf die Süße des Lebens und die Selbstliebe hinweist. Das Sonnengeflecht, das sogenannte 2. Gehirn, steht für unsere Entscheidungskraft und Eigenmacht. Die Hände erreichen das Becken, Ort unserer Fruchtbarkeit und Kreativität. Erdung erfahre ich beim Steißbein. Niederkniend setze ich mich auf die Fersen und senke den Kopf zur Erde, so erfahre ich mich als Kind dieses Planeten. Aus dem Fersensitz wende ich den Kopf nach oben: ja, ich darf immer wieder mich erheben. Dann gleite ich der Länge nach auf den Boden und gebe mich ganz der Schwerkraft der Erde hin, breite die Arme nach vorn aus, lege die Hände zusammen und führe sie dann segnend zum Nacken. Nun lege ich die Arme wieder vorn auf dem Boden in Schulterbreite auf und hebe den Kopf, weiss erneut: es geht aufwärts, wenn ich ganz unten bin. Frohgemut richte ich mich auf, um den Reigen von vorn zu beginnen.
So wird mir meine Wirbelsäule bewusst: als Kern im Innern des Rumpfs, als bewegliche Achse, bereit zu Hingabe wie zu Aufrichtung. Gegenwart breitet sich aus, ich bin ganz da in Raum und Zeit, dankbar für das Leben.