Lebensgeschichten
Geschichten erzählen kann sie – die als Krimiautorin bekannt gewordene Donna Leon. Im Vorwort schreibt sie, dass sie weiter Gelegenheit finden möge, von Brunetti, dem Kommisar aus ihren in Venedig spielenden Kriminalromanen, zu berichten.
Im vorliegenden Taschenbüchlein erzählt sie aus ihrer Kindheit, vom aus Nürnberg stammenden Grossvater, der Zeit seines Lebens Bauer war, zunächst in Deutschland, dann in New Jersey. Das Farmleben imponierte ihr und ihrem Bruder; all die Ferienzeiten, die sie mit den Tieren verbrachten, leuchten ihr in bunten Kindheitsbildern auf.
Witzig zu lesen sind die Beschreibungen ihrer Zeiten als Englischlehrerin in verschiedenen asiatischen Ländern.
Befreiend und erleichternd bittet sie mit Miss Austen zum Tee: «In gewisser Weise sind wir, die wir in der angelsächsischen Tradition stehen, sehr im Vorteil, weil wir uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, ob die Literatur ernst sein muss oder unterhaltend sein darf, denn für uns ist ebendies – zu unterhalten – eine ihrer Hauptaufgaben….Wir stehen in einer literarischen Tradition, in der Witz und Ernst Hand in Hand gehen… Und darum gehen wir – während ernsthaftere Menschen über die Frage nachgrübeln und versuchen nicht zuzugegben, wie sehr sie Unterhaltungsliteratur geniessen – mit Mr. Dickens zum Lunch oder setzen uns, welche Wonne, mit Miss Austen zum Tee».
Ihre grosse Liebe gilt Italien: «Italia, ti amo», jubelt sie. Für die Polizei in Venedig verfasste sie ein Schreiben, dass diese den auf den Spuren Brunettis wandelnden TouristInnen überreichen kann: «Falls Sie nach Brunetti suchen, nach Signorina Elettra, Vianello oder gar Vice-Questore Patta, so muss ich Ihnen zu meinem grossen Bedauern mitteilen, dass sie auf einer Fortbildung sind und nicht in Venedig… Die Figuren in den Büchern sind natürlich frei erfunden. Die Menschen, die in der Questura arbeiten, nehmen ihre Arbeit wesentlich ernster…Wenn die Romanfiguren von ihrer Fortbildung zurückkommen, sind sie wieder die Alten…..Brunetti aber wird unermüdlich auf der Suche nach Gerechtigkeit die griechischen und römischen Klassiker lesen…»
Donna Leon staunt über ihr Alter – sie ist 1942 geboren – meint, man müsse doch mit achtzig angekommen sein: «Doch leider hat die Vorstellung, mich endgültig an einem Ort niederzulassen und nur noch eine Sache zu tun oder – schlimmer – gar nichts mehr zu tun, keinen Reiz für mich. Das Orchester, mit dem ich arbeite, plant Aufzeichnungen…Das dürfte mich für einige Zeit beschäftigen (und in den Himmel der Musik versetzen). Das Allerbeste aber, zumindest für mich, ist das weitere Zusammensein mit Brunetti, seiner Familie und seinen Freunden und dass ich ihm Gelegenheit geben kann, noch mehr von sich und seiner Vergangenheit, von seinen Gedanken und Gefühlen zu erzählen.»
Das spricht mir aus der Seele, das Leben geht weiter, auch wenn es sich dem Ende zuneigt.
Donna Leon: Ein Leben in Geschichten, Diogenes Verlag Zürich 2024, 190 Seiten, verschiedene ÜbersetzerInnen