Wundertüte
Der Ring war in der Wundertüte und er passte genau auf ihren kleinen Finger.
Glitzerte, glänzte. Metallen, aus Blech wahrscheinlich, doch schön silbern leuchtend.
Der Stein aus buntem Glas funkelte in alle Richtungen, besonders wenn das Licht der Schreibtischlampe des Onkels darauf fiel. Hielt sie den Ring unter das grüne Glas des Lampenschirms leuchteten alle Farben wundersam grünstichig, als ob gleich der Froschkönig um die Ecke böge.
Die Lampe über dem Esstisch der Tanten hatte einen weissen Schirm mit rotem Rand – die Farbspiele dieser Lampe mochte die Fünfjährige am liebsten, vor allem wenn sie unter dem Tisch mit den Fransen der Tischdecke spielte und sich dabei nach Hause zu den Brüdern zurück träumte.
Der Glitzerring aus der Wundertüte verlieh dem Mädchen Stärke und Kraft: Zeterten und zürnten die alten Tanten, weil sie wieder einmal Zöpfe aus den Fransen der Vorhänge geflochten hatte, drehte sie am Ring, wendete ihn vom linken auf den rechten kleinen Finger, liess sich vom Funkeln des Rings in Fantasiewelten entführen.
Mit diesem Ring liess sich die Welt bereisen: von A bis Z, von hier nach da, von links nach rechts, nach oben und unten. So wieder Ring weder Anfang noch Ende hatte, so hatte auch die Welt weder Anfang noch Ende.
Wenn Kolumbus nach Indien segeln konnte und dabei Amerika entdeckte, so konnte sie mit dem gelben Lichtstrahl des geschliffenen Glases nach Australien aufbrechen und das Zornesfunkeln der Tanten durch das Strahlen ihrer Augen auflösen. Vom roten Strahl, der sie geradewegs zum Nordpol schoss, konnte sie sich wärmend einhüllen lassen. Nach Afrika reiste sie auf dem weissen Strahl, der zusammen mit den dunklen Fransen Zebras vor ihrem inneren Auge durch die Steppe galoppieren liess.
Die Welt war weit und ihre Sehnsucht uferlos. Wenn sie jetzt das Fenster öffnete und auf die graue Plane des gerade vorbei fahrenden Lastwagens spränge – käme sie dann wieder zu Hause an?
(Schreiben mit Imre Törok in Irsee)